
Yoga als Berufung – nicht als Business
«Von da an wurde Yoga ein fester Bestandteil meines Lebens», erzählt Ursina. Anfangs besucht sie Lektionen einmal pro Woche, später häufiger. Der Gedanke, selbst einmal zu unterrichten, war zwar präsent, löste jedoch grosse Unsicherheit aus. «Für mich war eine Yogalehrerin jemand, der auf einem Podest steht – ich konnte mir kaum vorstellen, selbst in dieser Rolle zu sein.» So zögerte sie lange, bis ein persönlicher Schicksalsschlag ihr die Kraft und den Mut gab, den Schritt trotzdem zu wagen.
2019 beginnt Ursina die vierjährige Yogalehrer-Ausbildung an der Yoga University in Villeret, nach über zehn Jahren eigener Praxis. Daneben ist sie Familienfrau und Mutter und finanziert ihre Ausbildung mit den Einnahmen ihres eigenen Näh-Labels «Frau Bolle» sowie der Mitarbeit am Mittagstisch der Primarschule. Zuvor war sie in verschiedenen Firmen im Marketing tätig – die Welt des Business kennt sie also gut. Umso klarer spürt sie heute, dass Yoga für sie kein Geschäftsmodell ist, sondern eine Berufung. Die schönsten Momente im Unterrichten erlebt sie, wenn die Gruppe in Shavasana in die Stille sinkt und echte Entspannung spürbar wird. «In diesen Augenblicken empfinde ich jedes Mal tiefe Demut.»
Die ersten praktischen Erfahrungen als Yogalehrerin sammelt sie in ihrem zweiten Ausbildungsjahr. Sie erhielt den Auftrag, einen Yogakurs mit eigenen Teilnehmern zu planen und durchzuführen – eine Aufgabe, der sie mit grossem Respekt, aber auch mit Freude begegnet. Aus diesem Zyklus entsteht ihre erste feste Gruppe, die ihr auch danach treu bleibt – und das mitten in der herausfordernden Zeit von Corona. „Es war nicht einfach, aber ich habe gesagt: nicht aufhören, einfach weitermachen.“
Heute unterrichtet sie seit fünf Jahren in Bonstetten, ein Dorf mit 5’500 Einwohnern – fünf Yogalehrer:innen teilen sich dort das Interesse der Bevölkerung. Konkurrenz spürt sie dennoch kaum: „Wir sind respektvoll miteinander.“ Sie lebt nicht vom Yoga allein und kann sich nicht vorstellen, ein «Business» daraus zu machen, das ihren Lebensunterhalt sichert; finanziell im Familienmodell getragen, ist für sie das Unterrichten eine Berufung und sinnstiftende Aufgabe, die zum Familienbudget beiträgt. «Was ich in mir durch Yoga entdecke, was mich durch die Praxis nährt und glücklich macht, möchte ich mit den Menschen teilen.»
Die Realität im Alltag ist zugleich schön und herausfordernd: Gruppengrössen schwanken und es kommen oft kurzfristige Abmeldungen. «Da braucht es einen langen Atem – nicht zu viel hinterfragen und jede Woche mit Freude den Yogaunterricht gestalten für jene, die sich die Zeit für ihre Praxis nehmen.»
Sicherheit und ein Gefühl von Zugehörigkeit durch den Schweizer Yogaverband
Schon während der Ausbildung wird Ursina Mitglied im Schweizer Yogaverband. Die Berufshaftpflichtversicherung gibt ihr Sicherheit, und mit dem weiteren Verlauf der Ausbildung erhält sie auch die Krankenkassenanerkennung. «Das gibt mir ein gutes Gefühl beim Unterrichten.»
Mit der Zeit erkennt sie den Wert weiterer Aspekte: der Ehrenkodex, die Qualitätslabel und vor allem das Gefühl der Zugehörigkeit. Dieses Gefühl verbindet sie auch mit den Weiterbildungen und persönlichen Rückzügen in Villeret. «Die Mitgliedschaft im Verband gibt mir Vertrauen und Sicherheit – getragen von Qualität, Austausch und einem Ort, an den ich jederzeit zurückkehren kann.»
Besonders dankbar ist sie für das Engagement des Verbands, Yoga im Gesundheitswesen zu verankern und die Krankenkassenanerkennung für die Mitglieder zu sichern. „Yoga wirkt mit einfachen Mitteln so tief und fördert die Eigenverantwortung. Umso wichtiger ist es, dass das auch offiziell anerkannt bleibt.“
Ursina wünscht sich, dass Qualität und Tiefe des Berufs erhalten bleiben – durch fundierte, längere Ausbildungen, zugleich offen für modulare Wege und zeitgemässe Modelle, ohne einfach den Trends zu folgen. «Tradition bewahren, Tiefe sichern – und trotzdem zeitgemäss denken.»
Für ihre eigene Entwicklung denkt Ursina über Räumlichkeiten und Ausrichtung nach: mehr Abende unterrichten – passt das zu ihr als «Morgen-Yogini»? Mehr Yogatherapie? Ein eigener Yogaraum statt Untermiete? Sie vertraut darauf, dass sich die Antworten auf diese Fragen aus innerer Klarheit – auch durch ihre Praxis – zeigen werden.
Gleichzeitig stellt sich für sie die Frage, wie sie mit der wachsenden Unverbindlichkeit vieler Teilnehmer:innen umgehen kann. Kurzfristige Abmeldungen und der Wunsch nach viel Platz pro Person stellen Yogalehrende immer wieder vor Herausforderungen. «Manchmal frage ich mich: Wo liegt das richtige Mass zwischen der Zufriedenheit der Teilnehmenden und Rahmenbedingungen, die es für uns Yogalehrende tragbar machen?»
Was Ursina angehenden Yogalehrer:innen rät
Ursinas Rat für Yogalehrer:innen, die am Anfang ihrer Unterrichtstätigkeit stehen, ist klar: «Einfach anfangen. Kleine Schritte gehen, Erfahrungen sammeln, vielleicht etwas anpassen – und dranbleiben.»
Wichtig sei, realistisch zu bleiben: «Das wöchentliche Unterrichten und das Anbieten von Yoga-Abos ist eine Verpflichtung. Da kannst du nicht einfach eine Auszeit nehmen oder ständig Stunden ausfallen lassen.»
Und ein weiterer Schlüssel: immer Schülerin bleiben. «Ich bin Yogalehrerin, bleibe aber auch Schülerin. Ich muss nicht alles wissen – demütig sein und das Geschenk Yoga ehren.»