Fallbeispiel 2: Bluthochdruck
Die Patientin ist 49 Jahre alt. Sie ist von Beruf Steuerberaterin und angestellt in einer großen Firma. Vorher war sie selbständig tätig als Steuerberaterin. Aufgrund der Stressbelastung hat sie die selbständige Tätigkeit aufgegeben. Erhöhte Blutdruckwerte wurden bereits vor dem beruflichen Wechsel mehrfach in der Praxis gemessen (bis 155/95). Sie bekam ein blutdrucksenkendes Mittel verordnet (ACE-Hemmer, Ramipril 2,5mg), das sie jedoch nicht regelmäßig einnahm. Auch nach dem beruflichen Wechsel blieben die Werte erhöht. Zusätzlich kam es zu einer Gewichtszunahme (12kg in 6 Monaten). Diese führt sie darauf zurück, dass sie vermehrt Süßigkeiten isst und sich weniger als früher bewegt.
Sie gibt an, mit ihrer privaten und beruflichen Situation zufrieden zu sein. Sie ist verheiratet, hat keine Kinder. Ein gutes soziales Netz von Freunden, Verwandten und Nachbarn besteht. Im Verlauf wird deutlich, dass die neue berufliche Situation sie doch sehr fordert und die Aufgabe der Selbständigkeit von ihr als eine Art „Versagen“ empfunden wird.
Es sind keine weiteren Vorerkrankungen bekannt. Sie hat keine Einschränkungen in der Beweglichkeit. Es besteht eine Neigung zu Erkältungen in den Wintermonaten. In der Familienanamnese: mehrere Personen mit Hypertonie, Koronarer Herzkrankheit, Diabetes
Gewicht 78kg, Größe: 163 cm, RR 155/95, HF 78, rh
Die Laborwerte zeigten mehrmals grenzwertige Blutzuckerwerte.
Das Ziel der Yogatherapie ist für die Patientin: ohne Medikamenteneinnahme einen normalen Blutdruck zu haben. Sie hat bereits zwei Jahre zuvor einen Yogakurs besucht und kennt einige Asanas. Zeitlich kann sie es einrichten täglich mindestens 15 Minuten zu üben, dreimal pro Woche auch mindestens eine halbe Stunde.
Therapeutisches Vorgehen:
Am Anfang werden die Themen, auf denen der Fokus ruht klar besprochen: die erneute Stressbelastung durch die neue berufliche Tätigkeit, Gewichtszunahme, die sich ebenfalls negativ auf den Blutdruck auswirkt, das beeinträchtigte Selbstwertgefühl durch die Aufgabe der Selbständigkeit.
1. Atmung / Pranayama:
Wechselatmung: zum Ausgleich des Blutdrucks über das vegetative Nervensystem, (kein Anhalten der Atmung!)
Brahmari: die verlängerte Ausatmung wirkt beruhigend auf das vegetative Nervensystem und kann dadurch den Blutdruck positiv beeinflussen
2. Asanapraxis: Aufwärmübungen: im Stand Gelenke kreisen lassen, den ganzen Körper im Stand dehnen
/ mehrere Runden Sonnengruß – achtsam, langsam und mit bewusster Koordination von Atem und Bewegung ausgeführt / einfache Flows mit Varianten der Heldenhaltung, Vorbeugen (z.B. Paschimottanasana), Drehungen, Seitbeugen
3. Yoga Nidra zur Entspannung
4. Mentale Übungen zur Stärkung des Selbstwertgefühls, z.B. Affirmationen, Visualisierungen und Journaling, d.h. Gedanken aufschreiben und den „Kopf freibekommen“
5. Achtsamkeitsmeditation mit Konzentration auf den Atem
Im Verlauf wird das Repertoire an Asanas zunehmend erweitert. Die Patientin kommt gut mit fließenden Sequenzen zurecht, die in moderatem Tempo ausgeführt werden. Dabei hält sie die einzelnen Asanas 3-5 Atemzüge.
Asanas die nicht gut geeignet sind: Umkehrhaltungen wie z.B. Kopfstand, gehaltene Vorbeugen im Stand.
Zusätzlich macht die Patientin eine Ernährungsberatung mit, um Gewicht zu reduzieren und das Essen von Süßigkeiten im Stress zu verändern. Im Alltag sorgt sie für mehr Bewegung, indem sie den Weg zur Arbeit so oft wie möglich mit dem Fahrrad zurücklegt oder eine Haltestelle eher aussteigt, wenn sie den Bus benutzt. Am Wochenende unternimmt sie häufiger mit ihrem Partner und Freunden längere Wanderungen.
Nach vier Monaten berichtet sie, dass es ihr viel leichter falle, mit Stress umzugehen. Die häufige Bewegung hilft ihr, sich körperlich von Stressreaktionen zu entlasten. Sie hat den Fokus in der Stressbewältigung vom Essen weg auf die Bewegung hin gelenkt. Sie fühlt sich in ihrem Körper wohler, nimmt ihre Bedürfnisse besser wahr und hat 6kg Gewicht verloren ohne sich dabei zu quälen. Durch Journaling und Meditation gelingt es ihr zunehmend leichter, sich aus negativen Gedankenspiralen zu befreien und sich weniger mit ihrer beruflichen Leistung zu identifizieren. Die Blutdruckwerte haben sich in einem Bereich unter 140/90 mmHg stabilisiert.
Die Frequenz der Yogatherapie-Stunden war anfangs alle 2 Wochen, nach 2 Monaten einmal monatlich. Danach kommt sie im Abstand von ungefähr drei Monaten um ihre Motivation zu halten und neue Inspirationen für die Praxis zu bekommen. Sie hat auch ein Yogastudio in der Nähe ihrer Arbeit gefunden, wo sie mindestens einmal pro Woche direkt nach der Arbeit hingeht.