Interview mit Dr. Ralph Steinmann

Leiter des Zertifikatslehrgangs „Sakralsprache Sanskrit, Mantra-Praxis und Yoga-Philosophie“ des Schweizer Yogaverbandes

Nachdem der Schweizer Yogaverband vor sieben Jahren seinen ersten und bisher einzigen grösseren Kurs zur Sanskritsprache durchgeführt hat, wird im Jahr 2024 verteilt über vier Wochenendblöcke (insgesamt 16 Tage) und in angepasstem Format in Villeret noch einmal der Zertifikatslehrgang. „Sakralsprache Sanskrit, Mantra-Praxis und Yoga-Philosophie“ stattfinden. Kursleiter ist wiederum Dr. Ralph Steinmann.

Detaillierte Ausschreibung (PDF)

Das Yoga Mail hatte Gelegenheit Ralph Steinmann einige Fragen zu stellen.

Wie bist Du selbst zum Sanskrit gekommen?

Ralph Steinmann: Wenn ich etwas ausholen darf, hat es eigentlich damit angefangen, dass mir in meiner Jugend meine Grossmutter, die dem Buddhismus nahestand, Bücher zu Yoga, Gurdjieff, Sufismus und mehr gab. Nach der Matur spürte ich dann in mir den Ruf, mich auf eine Asienreise aufzumachen mit dem Ziel, in Afghanistan einen Sufi-Meister zu finden. Nach abenteuerlicher Reise mit Bus, Zug, Schiff und zu Fuss – zu Beginn der 70er Jahre! – bin ich jedoch nicht in Afghanistan, sondern in Indien gelandet. Während dem viermonatigen Aufenthalt dort mit lebensprägenden Begegnungen und Erlebnissen spürte ich zum ersten Mal in meinem Leben, wer ich in Wirklichkeit bin oder sein möchte und worum es im Leben eigentlich geht – um Yoga im weitesten Sinn! Am Connaught Place in Delhi ist mir dann ein kleines, kunstvoll gebundenes, 1910 gedrucktes Büchlein mit 38 Upanisaden in Originalschrift in die Hände gekommen, in die ich mich gleich verliebt habe. Die Titelseite ist im pdf-Artikel „Sanskrit - Schlüssel zur Yogaphilosophie und Praxis“ auf Seite 4 abgebildet.

Um Indien, meiner wiederentdeckten seelischen Heimat, möglichst verbunden zu bleiben, suchte ich mir nach meiner Rückkehr die in meinen Augen damals beste UNI im deutschsprachigen Raum aus: das Südasien-Institut in Heidelberg. Obschon mir im Studienbetrieb schnell klar wurde, dass mich eine intellektuelle Auseinandersetzung «meinem Indien» nicht näherbringen würde, habe ich während 10, ja zehn Jahren an diesem Institut alles aufgesogen, studiert und gelesen, was man nur konnte. An erster Stelle alles, was mit meinem Hauptfach «Indische Philosophie und Religionsgeschichte» zusammenhing zusammen mit weiteren Indienreisen; an zweiter Stelle «Ältere indo-arische Sprachen und Literaturen», wozu Vedisch, klassisches Sanskrit, Pali und Prakrit gehörten. Als zweites Nebenfach studierte ich zunächst Hindi und Urdu, gab dieses dann aber zu Gunsten der «Indischen Kunstgeschichte» auf, was ich nicht bereut habe! Wegen meinen Arbeiten zu Ramana Maharshi habe ich mich auch mit Tamil beschäftigt. Es war mein – natürlich unerreichtes – Ziel, alle indischen Religionen im Original lesen zu können. Und deshalb ist Sanskrit bis heute meine indische Hauptsprache geblieben, wobei ich dankbar dafür bin, sie heute zusammen mit den Teilnehmenden meiner Kurse auf spielerisch-kreativ-intuitive Weise neu entdecken und vermitteln zu können. 

Was denkst Du, wie können Kenntnisse des Sanskrit mit der Yogapraxis und dem Yogaberuf verbunden werden?

Ralph Steinmann: Zuerst möchte ich festhalten, dass ich Sanskrit allein Yogalehrerinnen und Yogalehrern nie vermitteln würde. Warum? Sanskrit ist für mich, so wunderschön und «vollkommen» die Sprache auch ist, kein Zweck in sich, sondern ein Mittel zum Zweck, ein Mittel, um die indische Kultur und Mentalität verstehen zu können; und speziell für Yogalehrpersonen und an indischer Spiritualität Interessierte ein Mittel, um mit den so wichtigen Mantras bewusst, verantwortungsvoll und souverän umgehen zu lernen. Darüber hinaus bietet die Sprache natürlich auch Zugang zu den grossen Klassikern der indischen Spiritualität (z.B. Upaniṣaden, Bhagavadgita, Yoga-Sutras, Vijnanabhairavatantra). Mein Unterricht beschränkt sich deshalb nicht auf Sanskrit im engeren Sinne, sondern es sind Kurse, in welchen die Sprache immer in ihrem sakralen Aspekt und in ihrer sakralen Funktion, das heisst im Zusammenhang mit Mantra-Praxis, Yoga-Philosophie und Yoga-Praxis vermittelt wird. Dazu gehören natürlich, und schon ab dem 2. Jahr, religiös-spirituelle Texte, zunächst einfache Erzählungen und Fabeln, später originale Klassiker der Yoga-Literatur. Die drei Säulen Sakralsprache, Mantra-Praxis und Yoga-Philosophie können nicht voneinander getrennt werden und werden deshalb in allen Kursen gleichwertig und gleichgewichtig behandelt. Die Frage möchte ich deshalb auf alle drei Grundelemente ausgedehnt beantworten, und dabei auch die Perspektive der Teilnehmenden miteinbeziehen.

  • Von den Yogalehrpersonen höre ich, und sehe dies auch in der täglichen Hathayoga-Praxis im Kurs, dass fast alle in ihrem Yoga-Unterricht die Original-Begriffe für asanas usw. konsequent, korrekt und sicher verwenden. Professionell-traditionelle Vorführung und Gestaltung vorausgesetzt, verleiht der souveräne Einsatz von Sanskrit-Begriffen, anfänglich begleitet von deutschen Übersetzungen, den Kursen einen unverwechselbaren atmosphärischen und authentischen Anstrich und grenzt sie von Kursen ab, die lieber Begriffe wie z.B. «herabschauender Hund» verwenden oder eher zum Bereich der Gymnastik gehören. 
  • Einige der Lehrpersonen in meinen Kursen setzen in ihrem Unterricht punktuell auch das eine oder andere ihrer «Lieblings-Mantras» ein, meistens zu Beginn und zum Abschluss. «Punktuell», da dies besonders geplant und vorbereitet werden muss (Handout mit Text und Übersetzung) und sich vielleicht nicht für alle Klassen eignet.
  • Ebenso werden, so wie ich höre, Weisheitssprüche und ganze Verse aus Yoga-Klassikern, wie z.B. aus der Bhagavadgita, oder seltener ein Yoga-Sutra, in den Unterricht integriert, was ebenso eine besondere Planung und Vorbereitung erfordert, doch zur Vertiefung und Professionalisierung beiträgt.
  • Gelegentlich werden ganze Texte oder Kapitel einer Yoga-Tradition zum philosophischen Thema einer ganzen Unterrichtsperiode, also über mehrere Wochen oder Monate, gemacht.
  • Bei Fragen von Yoga-Schüler:innen zu Aspekten der Yoga-Philosophie und Yoga-Praxis fühlen sich die Teilnehmenden sicherer oder kennen die Quellen, auf die sie sich für eine vertiefte Beantwortung beziehen können.

Viele direkte Verbindungen meiner Kursinhalte führen zum beruflichen Gewinn einer Yogalehrerin, eines Yogalehrers. Aus meiner Sicht gibt es jedoch auch eine indirekte, ebenso wichtige Verbindung der Kurse zur Berufspraxis: Die persönliche Weiterentwicklung sowie die Stärkung der persönlichen und beruflichen Identität und Identitätsfindung als Yogalehrerin und Yogalehrer. Hierzu bieten die vertiefte Auseinandersetzung mit den grossen Yoga-Traditionen und Klassikern der Yoga-Literatur, aber auch der Austausch mit Gleichgesinnten und Gesprächsrunden im Kurs, einen Kompass und eine Orientierung im Yoga-Universum.  
So erstaunt nicht, dass in einer gemeinsamen Reflexion mit einer Kursgruppe die Teilnehmenden den Gewinn für ihre persönliche Entwicklung und persönliche Yogapraxis als deutlich grösser gewichteten als für ihre Berufspraxis. Die Teilnehmenden der Sanskrit-Lehrgänge möchten den Ursprüngen, der Entwicklung und dem Wesen des Yoga auf die Spur kommen. Zur konkreten Verbindung der Kursinhalte mit der persönlichen Yoga-Praxis gehört natürlich auch die Integration neuer oder die Vertiefung bekannter Mantras ganz verschiedener Kategorien und die Entdeckung spiritueller Klassiker der Weltliteratur und damit Erschliessung eines unerschöpflichen Fundus an traditionellen Quellen für die persönliche Weiterentwicklung. In Erinnerung bleibt mir z.B. die Rückmeldung einer Teilnehmerin, dass ihre damals etwa 9-jährige Tochter zusammen mit ihr das varna-mala-Mantra, das Sanskrit-Alphabet, singen würde.

So lässt sich folgendes Fazit ziehen: Die Verbindung von Sanskrit mit der Berufspraxis, sei es in Form von Mantras, Texten oder auch nur in Form von Begriffen des Haṭhayoga und bestimmter Yoga-Traditionen, will gelernt, geübt und vorbereitet sein. Dafür werden in den Lehrgängen die Grundlagen gelegt. Die dadurch erworbene Kompetenzerweiterung und Professionalisierung als Yogalehrerin, als Yogalehrer, verleihen dem Yoga-Unterricht eine einmalige, persönliche, glaubwürdige Note. Hinzu kommt das gestärkte, alles tragende Selbstvertrauen, die reflektierte, bewusst gewählte Identität einerseits als Yoga-Praktizierende/r und andererseits als Yogalehrperson.

Eine direkte und starke Verbindung der Kurse auch zur Berufspraxis stellt – das hätte ich fast vergessen – die nicht mehr wegzudenkende, täglich 1 ½-stündige Meditations- und Hathayoga-Zeit frühmorgens dar. Sie wird im freien Turnus von den unterrichtenden Teilnehmenden gerne selber angeleitet. Warum gerne? Weil es die teilnehmenden Yogalehrpersonen einerseits geniessen, auch einmal, und immer wieder während dem Kurs (!), an einer Yoga-Stunde in der Rolle als Teilnehmer:in mitmachen zu können, und andererseits, und das wird immer wieder betont, profitieren sie von der Erfahrung unterschiedlicher Lehrstile und Lehrmethoden als Inspirationsquelle für ihre eigene Berufspraxis.

Da ich die Frage nach der Verbindung von Sanskrit, Yogapraxis und Yogaberuf sehr zentral finde, habe ich meine obenstehende Antwort vier langjährigen Kursteilnehmer:innen  vorgelegt und folgende Rückmeldungen erhalten:

«Ich finde deine Antwort sehr treffend, ich empfinde den Sanskritunterricht und die Yogaphilosophie auch so für mich, eine sehr fundierte Erweiterung für jeden Yogalehrenden» (Monika Walter-Mueller).

«Ich kann voll dahinterstehen und erlebe es auch so, dass es mir im Beruf als Yogalehrerin Sicherheit gibt und mich qualifiziert als Lehrerin mit spirituellem Hintergrund. Auch persönlich ist Yoga ein immer wichtigerer Halt im Leben geworden und stärkt mein Vertrauen» (Frieda Ramseier-Sommerhalder).

«Ich kann dir nur ein positives Feedback geben. Du hast das wirklich auf den Punkt gebracht, was du vermittelst in deinen wunderbaren Sanskrit-Kursen, nicht nur Sprache, sondern auch alles andere, was dazu gehört» (Yvonne Harder).

«Jede Yogalehrerin, jeder Yogalehrer sollte mindestens deinen Einführungs- bzw. Grundlagenkurs besuchen, der eigentlich in die Grundausbildung von Villeret gehört. Bereits ab der ersten Ausbildungs-woche zum Yogalehrer, zur Yogalehrerin in Villeret begegnet uns Sanskrit laufend, sei es beim Mantra-Singen, beim Üben der Āsanas oder beim Erarbeiten von yogarelevanten Texten. Die korrekte Aussprache der Sanskritsprache gibt dem Rezitieren der Mantras eine grossartige, neue Kraft und den Yogaübungen ihre tiefere Bedeutung. Das Lernen der Sakralsprache lässt sich wie eine Meditation vorstellen, sie eröffnet neue Zugänge und die Yogaphilosophie wird getragen von dieser Macht der Sprache der Götter. Das Lernen in Gruppen in einem wunderschönen Umfeld, sei es in Villeret oder auf der Schweibenalp, bietet eine einmalige Auszeit, eine intensive Lernzeit in Frieden und Fröhlichkeit» (Thomas Ineichen). 

Seit wann führst Du die Sanskrit Weiterbildungen durch und welches sind Deine bisherigen Erfahrungen als Studienleiter?

Ralph Steinmann: Der erste Grundkurs, den ich durchführte, war tatsächlich derjenige an der Yoga University Villeret im Jahr 2016. Die Anregung dazu kam von Sabine Ecklin, einer Absolventin der Yoga Lehrausbildung. Es war ein denkwürdiger, intensiver und, wie wir inzwischen sehen, fruchtbarer Beginn. Denkwürdig auch, weil dieser Lehrgang der letzte war, der im heimeligen Dachstock des alten Yoga-Zentrums stattgefunden hat! Inzwischen ist daraus eine kleine Schule für «Sakralsprache Sanskrit, Mantra-Praxis und Yoga-Philosophie» mit dem Namen «yogabhasa – die Sprache des Yoga» geworden. Unter diesem Namen habe ich im Verlauf der Jahre noch zwei weitere Grundkurse durchgeführt. Aus allen diesen insgesamt drei Grundkursen, gibt es  AbsolventInnen, die noch heute meine weiterführenden Programme belegen.

Meine bisherigen Erfahrungen als Studienleiter sind auf allen Ebenen sehr positiv. Dies ist in erster Linie, und ich kann dies gar nicht stark genug betonen, der jahrelangen, vertrauten Zusammenarbeit und gelebten Feedbackkultur zwischen den oft langjährigen Teilnehmenden und mir geschuldet. Waren die Blockkurse zu Beginn noch durch kopflastigen Frontalunterricht und zu schnelle Progression geprägt, wurden das Kreis-Setting, interaktive Sequenzen, offene Diskussionsrunden sowie Lerngruppen über die Jahre Standard. Auch aufgrund der Bedürfnisse der Teilnehmenden wurde die Mantra-Praxis immer wichtiger und nimmt heute ebenso viel Raum ein wie der Spracherwerb und die Yoga-Philosophie. Deshalb laufen alle Kurse seit längerem unter dem Titel «Sakralsprache Sanskrit, Mantra-Praxis und Yoga-Philosophie». Eine Zeitlang habe ich neben den Blockkursen auch Tageskurse angeboten. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass nur Blockkurse mit kleineren Gruppen eine vertiefte Auseinandersetzung mit und ein nachhaltiges Eintauchen in die Kursinhalte und die vorher erwähnten Grundfragen erlauben.

Was die Kursentwicklung und Kursziele ganz allgemein, aber insbesondere im Bereich Sprache, anbetrifft, so sind alle meine Erwartungen übertroffen worden! Schon aufgrund der Herausforderungen, die die Sanskrit-Sprache stellt, hätte ich mir nie gedacht, dass diese Kurse auch nach sieben Jahren noch Bestand haben würden. Dass auch Teilnehmende ohne akademische Bildung nach drei, vier, ja fünf Jahren mit Freude und offensichtlichem Gewinn noch immer dabei sind, löst bei mir immer wieder Staunen und Bewunderung aus und treibt mich an, weiterzumachen. Die methodisch-didaktisch abwechslungsreiche, spielerisch-informelle Sprachvermittlung und die sanfte, extensive Sprachprogression, welche von guten Lehrmitteln, einer kurseigenen Grammatik und weiteren Hilfsmitteln auf www.sanskritaarau.ch unterstützt werden, spielen sicher eine Rolle. Geschätzt wird insbesondere auch der Sprach-Support durch meinen Assistenten Peter Meyer in fortgeschrittenen Kursen und auch zwischen den Kursblöcken. Entscheidend aber sind aus meiner Sicht die Freude an einer als persönlich für wichtig und sinnvoll betrachteten Herausforderung und die Arbeit in einer motivierenden Lerngruppe.

Was die Yoga-Philosophie und ihre Kursziele anbetrifft, hat sich gezeigt, dass die Wissensvermittlung grundlegend ist, da sie Orientierung gibt und Lücken schliesst. Umfangreiche Handouts für vertiefendes Selbststudium haben sich als entlastend für die Kurszeit erwiesen und geben damit genügend Raum für ein wichtigeres, übergeordnetes Ziel: Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Yoga-Strömungen und Yoga-Praktiken soll dem persönlichen und beruflichen Selbstverständnis und der Identitätsfindung als Yogi bzw. Yogini und Yogalehrperson dienen. So gehören jene Momente zu meinen schönsten Erfahrungen als Studienleiter, wenn es gelingt, eine Diskussion zu einem zentralen, yogarelevanten Thema – z.B. zu Aspekten der Meditation oder der Yoga-Ethik – anzuregen und so zu steuern, oder noch besser «geschehen zu lassen», dass sie bei den Teilnehmenden zu neuen, yogarelevanten Erkenntnissen und dem von jedem Seminarleiter so sehr gewünschten «Berufs- und Alltags-Transfer» führt.

Wie bereits erwähnt, hat sich die Mantra-Praxis Schritt für Schritt zu einem festen, ebenso wichtigen Bestandteil der Kurse entwickelt. Ich sage bewusst «Schritt für Schritt», da ich mir die dafür notwendigen Kompetenzen zu einem guten Teil auch erarbeiten musste, denn «Mantra ist nicht gleich Mantra!». Mantra-Praxis ist ein eigenes Universum im Yoga-Universum! Wichtig ist nicht nur die Unterscheidung der verschiedenen Mantra-Klassen und Typen, sondern insbesondere auch der verantwortungsvolle, demütig-respektvolle Umgang. Dank den Inputs und Wünschen der Teilnehmenden werden inzwischen alle wichtigen vedischen, viele klassisch-hinduistischen sowie einige tantrische Mantras in den ersten drei bis vier Jahren erarbeitet. Es macht mich natürlich glücklich, wenn es gelingt – und es gelingt nicht immer! -, z.B. ein vedisches Mantra, derart zu vermitteln, dass es nicht nur korrekt rezitiert und mit der Zeit memoriert werden kann, sondern dass die Teilnehmenden am Ende im Schweigen mit seinem Wesen, mit Klang und Rhythmus, eins werden und im Raum eine kraftvolle Stille spürbar wird. 

Die vielleicht wichtigste Erfahrung für mich persönlich sind immer wieder die grossen, ja unerschöpflichen Ressourcen, die in diesen Kursen vorhanden sind. So gehört ebenfalls zu meinen schönsten Erfahrungen, wenn es gelingt, vorhandene Ressourcen zu wecken oder zu fördern. Z. B. wenn eine Teilnehmerin, aus dem grafischen Gewerbe kommend, Devanagari, die Sanskrit-Schrift, als Kalligraphie entdeckt und mit ihrem Beruf verbinden kann. Oder wenn Teilnehmende ihre musikalischen Fähigkeiten in Rezitation und Gesang, Harmonium, was auch immer, einbringen und nutzen. Dazu gehören natürlich auch die bereits hervorgehobenen, von den Teilnehmenden selber angeleiteten Meditations- und Hathayoga-Sequenzen – ich bin ja kein Yogalehrer! -, die den Praxisbezug der Kurse noch verstärken.

Natürlich gibt es auch sogenannt «negative» Erfahrungen als Seminarleiter, «sogenannt», weil sie im Moment vielleicht ärgerlich oder sogar schmerzlich erscheinen, sich aber im Nachhinein immer als «positive» Heraus-forderungen zeigen. Z.B., wenn eine Mantra- oder Philosophie-Sequenz nicht wunschgemäss gelingt; wenn zum Erhalt einer guten Gruppendynamik eine dominante Person ins Ganze ein- bzw. zurückgebunden werden muss, oder wenn ich mit Tiefdruckwetter bzw. Migräne zu kämpfen habe... Glücklicherweise musste ich aber noch nie einen Kurs absagen. Schmerzlich sind natürlich immer auch Abgänge, vor allem von langjährigen Teilnehmenden.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die grosszügig eingebrachten Ressourcen, die gelebte Feedbackkultur und der Wille, dem Yoga in seiner ganzen Vielfalt auf die Spur zu kommen sowie die Lernbereitschaft und Lernfreude zusammen mit den motivierenden Lerngruppen für den individuellen «Erfolg» auf Seiten der Teilnehmenden stehen. Das flexible, laufend weiterentwickelte Curriculum und die bedürfnisgerechte, kombinierte Vermittlung von Sprache, Mantra-Praxis und Yoga-Philosophie, unterstützt von www.sanskritaarau.ch und umrahmt von der täglichen Yoga-Praxis morgens und themenrelevanten Filmen abends, sind das «Erfolgsrezept» auf Seiten der Seminarleitung. Die Erfahrung zeigt, dass jede/jeder die Grundlagen der Sakralsprache Sanskrit und den Umgang mit Mantras erlernen und sich auch mit anspruchsvollen Aspekten der Yoga-Philosophie auseinandersetzen kann.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass mich die Kurse erfahren lassen, dass ich im Grunde ebenso Lernender und Suchender bin wie die Teilnehmenden selber. Nicht nur bezüglich ihrer persönlichen Yoga-Praxis verfügen sie oft über mehr oder tiefere Kenntnisse und Erfahrung der indischen Kultur als ich: Ohne die unzähligen weiterführenden Hinweise der Teilnehmenden wären die Kurse von «yogabhasa – die Sprache des Yoga» nicht, was sie heute sind! 

Was sind Deine Studienziele für den Lehrgang des Schweizer Yogaverbandes, welcher im Jahr 2024 stattfinden wird?

Ralph Steinmann: Die Ziele dieses vierten, einführenden Lehrgangs unterscheiden sich in einigen wichtigen Elementen von jenen des Pilotkurses 2016. Die Zielerreichung wird generell durch die bereits angesprochene methodisch-didaktische, aber auch thematische und sprachliche Weiterentwicklung gestärkt. Bezüglich der Kursinhalte wird die Mantra-Praxis im Verhältnis zum Spracherwerb und der Yoga-Philosophie heute gleichwertig und gleichgewichtig vermittelt. Im Bereich Sprache stehen inzwischen eine kurseigene Grammatik sowie zahlreiche Hilfsmittel und Downloads auf www.sanskritaarau.ch zur Verfügung. Die Grundlagen sind jedoch dieselben geblieben, so wie sie in den beiden immer noch gültigen Grundsatzartikeln zum Pilotkurs beschrieben sind, die im Yoga Journal Nr. 40 und 41 erschienen sind. Die Lernziele des Lehrgangs sind:

  • Nach Abschluss des Lehrgangs kennen und beherrschen die Teilnehmenden das klassische Sanskrit-Alphabet und die klassische Sanskrit-Schrift devanagari. 
  • Sie haben mindestens acht wichtige vedische Mantras sprachlich und inhaltlich erarbeitet und verinnerlicht. Sie können diese mit Hilfe von Handouts auch in ihrem Kontext verstehen und interpretieren.
  • Die Teilnehmenden kennen mindestens 175 Sanskrit-Wörter zur Yoga-Philosophie, -Psychologie, -Ethik und -Praxis (aus Veden einschliesslich Upanisaden, Bhagavadgita, Yoga-Sutras, Vedanta, Hatha-Yoga/Tantrismus). Insbesondere sind sie in der Lage, die originalen Sanskrit-Begriffe für die meisten asanas, pranayama-Formen und bandhas im Yoga-Unterricht zu verwenden.
  • Die Sanskrit-Begriffe und vedischen Mantras können sie im Original und in der geläufigen lateinischen Umschrift lesen, schreiben und aussprechen bzw. korrekt rezitieren. 
  • Sie kennen Bedeutung, Entwicklung und Verbreitung der Sanskrit-Sprache mit besonderem Bezug zu Literatur, Philosophie und Praxis der wichtigsten Yoga-Traditionen.
  • Die Teilnehmenden kennen wichtige Definitionen von Yoga sowie dessen Haupttraditionen. Mit der ersten Yoga-Epoche, den vedischen Yoga-Traditionen (vier Veden einschliesslich Upanisaden und OM-Philosophie und -Praxis), haben sie sich anhand von guten Übersetzungen und umfangreichen Handouts vertieft auseinander-gesetzt und deren Relevanz für ihre persönliche und berufliche Yoga-Praxis reflektiert.  
  • Sie kennen die wichtigsten Print- und online-Hilfsmittel, um ihre Sanskrit-Kenntnisse selbständig zu erweitern und sind in der Lage, Yoga-Wörter in Original-Texten und Übersetzungen zu identifizieren und zu überprüfen.

Wichtig ist zu erwähnen, dass für den Kurs und die Erreichung dieser Lernziele keine akademische Bildung not-wendig ist. Ich empfehle jedoch ein Selbststudium von 1 - 2 Stunden pro Woche. Der Kurs wird in deutscher Sprache gehalten; die umfangreichen Handouts sind ebenso in Deutsch verfasst. Alle Teilnehmenden haben die Möglichkeit, mindestens ein vedisches Wunsch-Mantra, eine vedische Text-Passage oder ein yogarelevantes Thema zur vertieften Bearbeitung im Lehrgang einzubringen.

Besteht für die AbsolventInnen des Lehrgangs die Möglichkeit, bei Dir weiter zu studieren und wie würde dies konkret aussehen? 

Ralph Steinmann: Den ersten Teil der Frage kann ich mit einem klaren Ja beantworten, wobei ich präzisieren möchte, dass ich bei fortgeschrittenen Gruppen seit 2021 mit Peter Meyer als Sprachassistenten zusammenarbeite. Peter Meyer ist auch hauptverantwortlich für www.sanskritaarau.ch, der Webseite von «yogabhasa – die Sprache des Yoga, Schule für Sakralsprache Sanskrit, Mantra-Praxis und Yoga-Philosophie». 

Das «wie» ist durch die Erfahrung mit den bisherigen drei Lehrgängen gegeben, die 2016, 2018 und 2020 gestartet sind und heute im dritten, fünften bzw. siebten Jahr stehen. Auf diesen Erfahrungen aufbauend hat sich ein flexibles Curriculum mit zwei Grund-, zwei Aufbau- und sechs Vertiefungskursen ergeben, welches auf unserer Webseite www.sanskritaarau.ch eingesehen werden kann. Alle Kurse sind geschlossene Jahreskurse mit je vier, über das Jahr verteilten Wochenendblöcken. Diese Fortgeschrittenenkurse finden jeweils im Seminarzentrum der Schweibenalp statt (www.schweibenalp.ch). Einerseits weil sich die Teilnehmenden keinen besseren Ort für diese Kurse vorstellen können und andererseits, weil die malerische Schweibenalp ob Brienz nahe den Giessbachfällen zusammen mit der spirituell-ökologisch ausgerichteten Gemeinschaft, mit vollwertiger vegetarisch-veganer Kost, mit der Permakultur und vor allem mit dem täglichen klassisch-hinduistischen Tempel- und häufigem vedischem Feuerritual einen idealen Rahmen für uns bietet. Viele erlernte Mantras und Kirtanas können dort live erlebt werden. Mehr Informationen zu unserer Schule, unserer Philosophie und vielem mehr finden sich unter www.sanskritaarau.ch.

Im Lehrgang des Schweizer Yogaverbandes wirst Du ja auch Abendprogramme zu Weisen Indiens gestalten. Wie bist Du zur Beschäftigung mit dieser Thematik gekommen und kannst Du uns einige Beispiele geben, was wir erwarten können?

Ralph Steinmann: «Weise» in Indien sind u.a. als Rsi, Muni, Acarya und in ihrer verbreiteten Funktion als «spirituelle Führer oder Meister» natürlich als Guru, Sadguru und Jagadguru bekannt. Die Beziehung zu meinem Meister ist seit der Begegnung mit ihm auf meiner ersten Indienreise mein Herzens- und Lebensthema. Zum Meister-Schüler-Verhältnis habe ich aber auch wissenschaftliche Arbeiten, insbesondere meine Dissertation, veröffentlicht (www.sanskritaarau.ch), nicht aber über meinen Guru und dessen Tradition, was zu persönlich und subjektiv wäre. Da ich aber von der grossen Bedeutung von Vorbildern im spirituellen Bereich überzeugt bin, gestalte ich im Grundkurs vier Abendprogramme mit «spirituellen Leuchttürmen» der indischen Neuzeit: Ramana Maharshi, Ramakrishna, zusammen mit Vivekananda, sowie Anandamayi Ma. Gemeinsam ist diesen spirituellen Vorbildern, dass sie panindische Bedeutung haben und ihre spirituelle Autorität und Authentizität über Indien hinaus unbestritten sind. An anderen Abenden sehen und diskutieren wir ausgewählte, yogarelevante Filme.

In meinen Kursen will ich auch im Guru-Dschungel etwas Orientierung vermitteln. Und dazu dient die Auseinandersetzung mit Beispielen glaubwürdiger und unglaubwürdiger Spiritualität und Meisterschaft bzw. mit Fragen wie: «Woran erkennt man einen (un)wahren Guru? Welches sind die Merkmale für ein (un)-gesundes Meister-Schüler-Verhältnis? Welches sind die Voraussetzungen auf Seiten der Schülerschaft? Brauche ich überhaupt einen Guru?» Ramana Maharshi, dessen Leben, Lehren und Wirken detailliert dokumentiert sind, ziehe ich deshalb in den Kursen als spirituelle Referenz gerne bei. Nach der Orientierung an positiven Beispielen, die für mich immer prioritär ist, wird im zweiten Kursjahr die Guru-Thematik auch aus kritischem Blickwinkel nochmals aufgenommen: mit Beispielen und Hinweisen auf Gefahren, Missbräuche und Exzesse. Mit dem Titel «Der qualifizierte Guru schützt vor den Gefahren des Heilsweges» ist im Yoga Journal Nr. 14 ein Interview mit mir erschienen.

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